I. Vorgeschichte

Gegen Ende der 1940er bis Anfang der 1960er Jahre war Heidelberg unangefochten die bundesdeutsche Basketball-Hauptstadt. War der Begriff Hochburg jemals gerechtfertigt, so hier, gingen doch in den gut 1 1/2 Dekaden von 1948 bis 1963 bei den Herren zehn, bei den Damen neun Meistertitel an den Neckar.

Zu hinterfragen ist, ob diese rasante Entwicklung eher zufällig oder zwangsläufig erfolgte. Hätte diese so auch etwa in Wuppertal oder in Kassel ablaufen können? Um dies zu verstehen, müssen wir den Blick auf das Heidelberg der unmittelbaren Nachkriegszeit richten.

Heidelberg war im Gegensatz zu fast allen anderen deutschen Städten im 2. Weltkrieg nahezu unzerstört geblieben. Inwieweit wir diese Tatsache der durch “Student Prince” romantisch-verklärten Bekanntheit Heidelbergs in den USA zu verdanken haben, also einem Kalkül, ist bis heute umstritten.

In der Folge verschlug es zahlreiche Flüchtlinge nach Heidelberg. Viele davon kamen aus Osteuropa, z. B. aus der früheren CSSR oder aus dem Baltikum. Einige, etwa die später noch zu erwähnenden Anton Kartak und Helmut Kulikowski, brachten Basketball-Erfahrungen aus ihrer früheren Heimat mit, trafen mit anderen zusammen und betätigten sich als Entwicklungshelfer.

Ein zusätzlicher Anziehungspunkt war die altehrwürdige Universität, die vor allen anderen deutschen Hochschulen ihren Lehrbetrieb bereits im August 1945 wieder aufgenommen hatte. Im Zusammenhang mit der intakt gebliebenen Stadt lockte sie zusätzlich zahlreiche in- und ausländische Studenten nach Heidelberg. Diese bildeten seinerzeit für den Basketballsport, der in Deutschland insbesondere von der akademischen Jugend betrieben wurde, das Hauptreservoir. Hier seien beispielhaft Günter Piontek und Willi Kitzing genannt.

Heidelberger Gemengelage aus Aufbauhilfe, akademischem Nachwuchs, Amis und Altstadtsumen

Schließlich kamen die Amerikaner nach Heidelberg! Die amerikanischen Streitkräfte, die unmittelbar nach Kriegsende in Heidelberg das Hauptquartier der 7. US Army errichtet hatten, belegten die Marstall-Halle und spielten dort auch Basketball. In den Pausen zwischen den einzelnen Spielen gab es für die Altstadt-Kinder die Möglichkeit, sich selbst mit dem großen Ball und dem hochhängenden Korb zu versuchen. Zudem änderten sich bald, insbesondere im Zusammenhang mit dem aufziehenden Kalten Krieg und der daraus resultierenden Entstehung der beiden Machtblöcke NATO im Westen und Warschauer Pakt im Osten, amtliche amerikanische Politik sowie offizielles und inoffizielles Handeln vor Ort. Wollten die Vereinigten Staaten zuvor Deutschland niederhalten und isolieren, so versuchten sie nun Demokratie und last but not least den „American Way of Life“ zu vermitteln, so eben auch Basketball.

Vielleicht waren es tatsächlich begehrte Artikel wie Schokolade, Kaugummi, Coca Cola oder auch superchice Basketballschuhe, weshalb Altstadtsumen sich für das Basketballspiel zu interessieren begannen. Möglicherweise spielte auch eine Rolle, dass in den engen, stets belebten Altstadt-Gassen weniger als anderswo gekickt werden konnte. So hatte Heidelberg, im Gegensatz etwa zur Arbeiterstadt Mannheim, kaum eine Fußball-Tradition. Jedenfalls gab es in dieser Zeit in Heidelberg ein Potential Basketball-Verrückter, die sich anderswo wohl dem Hand- und insbesondere dem Fußball zugewandt hätten.

So entstand in Heidelberg aus sich gegenseitig beeinflussenden, parallel und auch zeitversetzt auftretenden und ablaufenden Faktoren und Prozessen eine Gemengelage, welche in Deutschland einmalig war und blieb. Sie sorgte für eine hochklassige Basketball-Landschaft, wie man sie vorher und nachher nirgendwo sonst in Deutschland antreffen konnte. Die Dominanz Heidelbergs im deutschen Basketball jener Zeit war auch wesentlich mitbedingt durch die Tatsache, dass finanzielle Aspekte damals kaum eine Rolle spielten.

Basketball war Freizeitsport, der neben der Erwerbstätigkeit oder insbesondere dem Studium betrieben wurde und für den sich die Frage einer Entlohnung gar nicht stellte. Gerade die im Zuge der weiter voranschreitenden Professionalisierung des heutigen Basketball-Sports drastisch veränderten Rahmenbedingungen sorgen dafür, dass eine solche Hochburg auch künftig kaum mehr wird entstehen können. So wird es wohl einmalig bleiben, dass man sich wie seinerzeit in Heidelberg insbesondere gegen die lokale Konkurrenz durchsetzen musste, um beste Aussichten auf den deutschen Meistertitel zu haben.

Ein kurzer Rückblick auf das Basketball-Geschehen bis dahin: 1939 hatte der LSV Spandau den ersten deutschen Herrentitel geholt. Den ersten Nachkriegstitel errang 1947 der MTSC Schwabing, 1948 kam dann der Turnerbund Heidelberg zu seiner ersten Meisterschaft. 1949 folgte wiederum Schwabing, 1950 der BC Degerloch. Danach sicherte sich der Turnerbund Heidelberg von 1951-1953 gleich drei weitere Herrentitel sowie 1952 parallel auch die Damenmeisterschaft. Überraschend löste 1954 der FC Bayern München den TBH als Titelträger ab und wurde auch im Folgejahr Deutscher Meister.
Der Turnerbund aber fusionierte Jahre später (1968) auf Initiative des damaligen OB Reinhold Zundel, der einen Heidelberger Großverein wünschte, mit den Freien Turnern und dem DSC (Dresdner Sportclub) Heidelberg zum neuen Verein Heidelberger SC. Dieser konnte 1973 mit den Damen gegen den Lokalrivalen KuSG Leimen nochmals eine DM erringen, verlor jedoch später sein Basketball-Profil.

Anton Kartak hatte beim Turnerbund 1947 die Basketballabteilung gegründet. Mit Theodor Schober, Günter Piontek, Helmut Kulikowski, Willi Kitzing, Wolfgang Heinker und Kurt Siebenhaar konnte der TBH auf Anhieb die badische und 1948 gar die deutsche Meisterschaft erringen.

Vielfältige Vereinslandschaft und geballte Basketball-Kompetenz

Kristallisationspunkte dieser Aktivitäten waren die leider längst einem modernistischen Seminarbau gewichene alte Marstall-Sporthalle, die “Gymnasiumshalle” des Kurfürst-Friedrich-Gymnasiums und die schmucke HTV-Turnhalle in der Klingenteichstraße. Protagonisten jener Jahre waren der Prager Anton Kartak (+), der später USC-Trainer, -Vorstandsmitglied, Bundestrainer und DBB-Präsident werden sollte, Theodor Schober aus Mährisch Ostrau (Ostrava), nachher ebenfalls USC- und Bundestrainer, der Lette Helmut Kulikowski und Hans Babies, der den BCH gründete und nach seinem Weggang aus Heidelberg zusammen mit Anton Kartak das Albert-Schweitzer-Turnier in Mannheim aus der Taufe hob. Zu ihnen stießen “Neckarschleimer” wie Wolfgang Heinker (+), zukünftiger Meistertrainer der HTV- und HSC-Damen sowie Damen-Bundestrainer, Kurt Siebenhaar (+), danach langjähriger Landestrainer in Baden-Württemberg, und Oskar Roth, dereinst Rekord-Nationalspieler, Studenten wie Günter Piontek, Willi Kitzing und Dr. Edgar Reinhard, der 1936 in Berlin bereits mit der deutschen Handball-Nationalmannschaft Olympiasieger geworden war.

1948 wurde der TB Heidelberg erstmals deutscher Meister mit der Mannschaft Kartak, Schober, Heinker, Piontek, Siebenhaar, Roth, Neustrupa, Truchly, Fabian, Kitzing und Kulikowski. Es folgten 1951–1953 drei weitere Titel. 1952 gelang dem Turnerbund gar die Doppelmeisterschaft bei den Damen und den Herren, die später nur noch einmal (1979 durch den TuS 04 Leverkusen) erreicht werden konnte.

Keimzelle des Heidelberger Herren-Basketballs: Der Turnerbund Die Aufnahme zeigt den Deutschen Meister 1949 bei einem Auswärtsspiel in Stuttgart, friedlich vereint mit dem Gastgeber. Obere Reihe von links: 2. Schober, 4. Heinker, 6. Kulikowski, 8. Neustrupa Untere Reihe von links: 2. Siebenhaar, 4. Kartak, 6. Piontek, 8. Roth (Quelle: „50 Jahre Basketball in Baden- Württemberg“)

Keimzelle des Heidelberger Herren-Basketballs: Der Turnerbund
Die Aufnahme zeigt den Deutschen Meister 1949 (in dunklen Trikots) bei einem Auswärtsspiel in Stuttgart, friedlich vereint mit dem Gastgeber. Obere Reihe von links: Schober, Heinker, Kulikowski, Neustrupa; untere Reihe v. l.: Siebenhaar, Kartak, Piontek, Roth (Quelle: „50 Jahre Basketball in Baden-Württemberg“)

In diesen frühen 1950er Jahren war die erste Fünf der Nationalmannschaft mit jener des TBH identisch!

In gekonnt martialischer Pose zeigten sich die Nationalspieler des Turnerbundes am 7.5.1951 in Paris. Von links: Oskar Roth, Theodor Schober, Kurt Siebenhaar, Günter Piontek (Slg. Oskar Roth).

In gekonnt martialischer Pose zeigten sich die Nationalspieler des Turnerbundes am 7.5.1951 in Paris. Von links: Oskar Roth, Theodor Schober, Kurt Siebenhaar, Günter Piontek (Slg. Oskar Roth).

Beim Heidelberger Turnverein 1846 gründete Heinrich Evers am 7.11.1948 die Basketball-Abteilung, die ebenfalls bald glänzende Erfolge erringen sollte. Die Damenszene dominierte der HTV ab 1955 bis 1960 unangefochten mit sechs Meisterschaften, die siebente sollte 1963 folgen. Den HTV-Herren war ein Meistertitel auf Bundesebene freilich nicht vergönnt. Sie mussten sich mit zwei Vizemeisterschaften, beide (1957 und 1958) mit Niederlagen gegen den USC, begnügen.

Noch vor dem HTV errang die TSG 78 Heidelberg 1954 einen deutschen Meistertitel bei den Damen. Dorthin hatten die Spielerinnen des TB Heidelberg wegen besserer Trainingsbedingungen geschlossen gewechselt. Von der TSG zog es anschließend wiederum viele von ihnen zum HTV, mit dem sie dann ihre denkwürdige Siegesserie antraten. Ein anderer Teil der TSG-Damen schloss sich dem USC an, einige beendeten ihre Laufbahn.

Der in amerikanischen Diensten stehende Fotograf Hans Babies gründete am 20.7.1947 den Basketball-Club Heidelberg (BCH), der in seiner kurzen Existenz immerhin eine Vizemeisterschaft bei den Damen (1954) und zwei Deutsche Meisterschaften bei der männlichen A-Jugend (1949 und 1954) gewann. Babies wanderte später nach Mannheim ab, wo er zusammen mit Anton Kartak das Albert-Schweitzer-Turnier initiierte, den weltweit größten Basketball-Wettkampf der Junioren. Der BCH aber wurde unter dem 1. Vorsitzenden Max Uhrig angesichts unzureichender Infrastruktur und fehlender Perspektiven zum 30.4.1954 aufgelöst und in den HTV 46 überführt.

Die frühen Erfolge des TBH

Die sportlichen Wegmarken des im Basketball anfänglich erfolgreichsten Heidelberger Vereins Turnerbund seien hier für die Zeitspanne der unmittelbaren Nachkriegszeit bis zum Eintritt des USC skizziert:

In der Saison 1947/48 errangen die Basketball-Herren des Turnerbunds Heidelberg in Göttingen ihre erste deutsche Meisterschaft, indem sie im Endspiel den Titelverteidiger MTSV Schwabing mit 33:28 schlugen. Veranstalter Göttingen 1846 und Berlin folgten auf den Plätzen 3 und 4.
Im Endrundenturnier der Damen setzte sich Titelverteidiger TuS Jahn München gegen die Herausforderer TB Heidelberg und APV Düsseldorf durch. Der TBH wurde mit einem 15:11-Sieg gegen Düsseldorf Vizemeister.

In der Saison 1950/51 qualifizierten sich die Basketball-Herren des TB Heidelberg für die Endrunde zur Deutschen Meisterschaft in Berlin.
Mit der Mannschaft Siegfried Bauer, Wolfgang Fabian, Wolf Heinker, Anton Kartak, Willi Kitzing, Günter Piontek, Dr. Edgar Reinhard, Ernst Riebel, Oskar Roth, Hans-Joachim Schäfer, Theodor Schober und Kurt Siebenhaar gewann der TBH ungeschlagen seinen zweiten deutschen Meistertitel.
Die Ergebnisse in Berlin lauteten: TBH – ATV 1877 Düsseldorf 46:40, TBH – Neuköllner Sportfreunde 47:29, TBH – Bayern München 39:32, Neukölln – Bayern 44:41, Neukölln – Düsseldorf 35:47, Bayern – Düsseldorf 56:41

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Nächster Abschnitt: II. Akademiker des USC betreten die Bühne

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